Semestereröffnung des Fachbereichs Evangelische Theologie-18-04-2017 - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2017



Semestereröffnung des Fachbereichs Evangelische Theologie
am 18. 04. 2017 in der Aula der Alten Universität Marburg
 
    
Vortrag von Prof. Dr. Bärbel Beinhauer-Köhler: „Flucht. Auf Spurensuche im mittelalterlichen Kairo“.
Im Anschluss: Würdigung des Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Hans-Jürgen Greschat zum 90. Geburtstag.

Friedemann Voigt, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität  Marburg, eröffnete das Sommersemester 2017 mit Erläuterungen zum  ästhetischen als auch historischen Ambiente der Aula der Alten  Universität Marburg, die der Theologischen Fakultät als Wirkungsstätte  vergönnt ist. Neben weiteren Informationen zum neuen Semester stellte  der Dekan u. a. neue Mitarbeiter vor: Frau Celica Fitz (Kirchenbau),  Stephan Michels (Kirchengeschichte), Dr. Stephen Hamilton (Systematische  Theologie) sowie im Sekretariat Frau Saskia Hoyer. Des Weiteren verwies  er auf das Studium Generale zum Thema „Reformation im Kontext“.
Anschließend übergab Voigt das Wort der Prodekanin Prof. Dr.  Bärbel Beinhauer-Köhler (Religionsgeschichte) für ihren umfassenden  Vortrag.
    

Diesen fasste sie am Ende damit zusammen, dass wohlhabende  Flüchtlinge wohl regelmäßig in den Netzen einer Oberschicht unterkamen,  zumeist auch in deren Räumlichkeiten. Dies war aber auch in bestimmten  Moscheen der Fall, welche von einzelnen Patronaten finanziell getragen  wurden. Religiöse und kulturelle Herkunft schienen dabei keine relevante  Rolle zu spielen. Einzelaussagen dokumentieren, dass die Patronate in  Katastrophenfällen umfangreiche Hilfestellungen boten, wenn auch nicht  auf Dauer, im Gegensatz zu der Hilfe, die in den Moscheen geleistet  wurde.
Ein  weiteres Ergebnis der Untersuchung war, dass über Flucht, aus noch zu  untersuchenden Gründen, nicht negativ berichtet wurde. Zudem sei es  sinnvoll, zwischen Flüchtenden und Reisenden zu unterscheiden. Letztere  waren, falls wohlhabend, meist gebildet sowie unterrichtet und kamen aus  einflussreichen Häusern. Diese waren der Kairoer Oberschicht  willkommene Berichterstatter, Informanten und Unterhalter.
Als grundsätzliches Muster bildete sich heraus, so fuhr  Beinhauer-Köhler fort, dass Flüchtlinge innerhalb ihrer  Religionsgemeinschaften ihren dauerhaften Aufenthalt in Kairo fanden.  Aber nicht im Sinne einer modernen individualisierten Gesellschaft, in  der der Einzelne in einem übergeordneten Staat durch dessen  Institutionen einen gesicherten Lebensraum fand, sondern viel mehr auf  der Grundlage der Einbindung in ein Patronatssystem mit einer „Textur  einzelner Netze ethischer und religiöser Gruppen“.
So schloss Beinhauer-Köhler ihren Vortrag mit dem Satz, dass die  islamisch geprägte Kairoer Gesellschaft im Zeitraum des klassischen  Islam mit seinen internationalen sozialen Netzen und kulturellen  Verständigungen äußerst dynamisch war.   
Im Anschluss leitete Frau Beinhauer-Köhler zur Würdigung des 90. Geburtstages von Prof. Dr. Greschat über.
  
Würdigung von Prof. Dr. Hans-Jürgen Greschat
durch die Prodekanin Beinhauer-Köhler

Hans-Jürgen Greschat wurde am 3. März 1927 in Insterburg/Ostpreußen  geboren. Nach einer durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochenen  kaufmännischen Lehre und der Übersiedlung nach Frankfurt am Main, legte  er in Wiesbaden bei einer Sonderprüfung das Abitur ab, um Theologie zu  studieren. Zunächst zwei Semester in Frankfurt, später in Marburg, wo er  Anfang der 1950er Jahre Religionsgeschichte, vertreten durch Friedrich  Heiler, belegte. Letzterer mag eine Ausrichtung angelegt haben, die sich  in Hans-Jürgen Greschat weiter verkörperlichte, auch wenn sie in der  Zeit ein Novum darstellte. Insoweit: dass nach Jahrzehnten der  Beschäftigung mit heiligen Schriften nicht-christlicher Religionen,  Friedrich Heiler „explizit und programmatisch“ 1961 in  „Erscheinungsformen und Wesen der Religion […] ein Korrektiv einer  vormalig textbasierten Außenperspektive auf Religionen forderte“,  dass man also sich in direkten Kontakt mit Gläubigen anderer  Religionsgemeinschaften setzen sollte, um auf empirischen Ebenen das  Bild von Religionen zu justieren. Greschat setzte das Programm von  Heiler konsequent um und schrieb 1980 in seinem zum Standardwerk  avancierten Buch „Die Religion der Buddhisten“ einleitend: „Der Gegenstand dieses Buches sind die Buddhisten und nicht wir.“ Gerade das sollte den Leser bewegen, die Welt auch einmal mit den Augen der Buddhisten zu sehen.
Wohl noch bedeutender wurde für Greschat der seit 1962 in Marburg  tätige Lehrer Ernst Dammann, welcher gleichzeitig Religionsgeschichte  und Afrikanistik lehrte. Hier bildete Greschat seinen philologischen  Schwerpunkt aus, der bis vor wenigen Jahren in der Religionswissenschaft  gängig war. Es war bei Greschat aber nicht eine klassische  Kultursprache wie das Arabische, Sanskrit oder Chinesische, sondern er  lernte Kisuaheli.
Greschat promovierte 1966 in Marburg über „Ursprung und  Ausbreitung der Religion der Kitawala Bewegung in Zentralafrika“. Im  gleichen Jahr ging er nach Nigeria, wo er an der University of Nigeria  in Nsukka als senior lecturer für Religionsgeschichte und -wissenschaft  tätig war. Dort lernte er die Sprache der Igbo, über deren Sprache er  seine Habilitation verfassen wollte. Doch beim Ausbruch des  nigerianischen Bürgerkrieges musste er alle Unterlagen zurücklassen.
In Marburg wurde Greschat Assistent von Dammann und wurde 1971 mit  einer Grundlagenstudie über westafrikanische Propheten habilitiert. 1968  gaben Prof. Dr. Greschat und Prof. Dr. Jungraithmayr die Zeitschrift  „Africana Marburgensia“ heraus und ab 1970 die Buchreihe „Marburger  Studien für Afrika und Asienkunde“. Greschat war für 17 Jahre Professor  des Faches Religionsgeschichte.

Grußwort des Afrikanisten Prof. Dr. Herrmann Jungraitmayr

Im Anschluss würdigte Prof. Dr. Jungraithmayr in einer für das  Jubiläum hergerichteten Räumlichkeit seinen Kollegen Greschat. Vorab  schickte Jungraithmayr einen Kommentar zu einem Greschat-Zitat der  Prodekanin: „Er möchte kein Lehrer sein, sondern ein immer Lernender.“  Der Afrikanist Jungraithmayr unterstützte diesen Ansatz und schlug  darauf anspielend vor, die Marburger Gelehrtengesellschaft möge sich  schlicht in Gesellschaft der Lernenden umbenennen.
    
1962 bekam Prof. Dr. Dammann (als Nachfolger von Prof. Dr.  Heiler, der in der Theologischen Fakultät die Religionswissenschaft  vertrat) die Anregung von Rudolf Otto (Seminar der Orientalistik), eine  Abteilung für Afrikanistik einzurichten. Greschat übernahm neben der  Religionswissenschaft auch diese Stelle, bis sie Jungraithmayr 1963  weiterführte.
Die folgenden zwei Jahrzehnte, so fuhr Jungraithmayr fort, standen  unter einem guten Stern für gemeinsame wissenschaftliche Aktivitäten  und er verwies u. a. auf die Zeitschrift „Africana Marburgensia“, die  1968 eröffnet wurde sowie auf die 1973 gegründete Reihe  „Monografien  und Asienkunde“. Davon erschienen über 50 Bände. 1974 kam Greschats  Habilitationsschrift „Westafrikanische Propheten“ heraus, aus dessen  Vorwort Jungraitmayr zitierte:

    
„Als ich 1966 Nachfolger von Harold W. Turner an der  University of Nigeria in Nsukka wurde, übernahm ich zugleich ein von ihm  begonnenes Archiv sowie seine Funktion bei der Study Group on  Independent Churches in Uyo. Beides brache mich rasch in regelmäßigen  und intensiven Kontakt mit nigerianischen Propheten und ihren Gruppen.  Historische Dokumente aus den National Archives in Enugu ergänzten  Schriften von und über einzelne Propheten sowie deren mündlich gegebene  Auskünfte.
Dann brach ein Jahr später der sogenannte Nigerianische  Bürgerkrieg aus und zerstörte unter anderem auch mein bis dahin  zusammengetragenes Quellenmaterial. Was Dokumente anging, stand ich also  wieder am Anfang. Da kam mir Dr. Turner wiederum zu Hilfe, der in  Großbritannien Dubletten aus dem Archiv von Nsukka aufbewahrte. Für  andere Belege konnte ich auf schon Publiziertes zurückgreifen.“
  
Jungraithmayr verwies auf Greschats Forschungen in Afrika und Asien einschließlich Neuseeland ganz „vor Ort und von Mensch zu Mensch“.  Seine Feldforschungen haben ihn zu einem überzeugenden akademischen  Lehrer gemacht. Jungraithmayr beendete seine Grußworte mit der  Bezugnahme zu einer Frage, die ihm Greschat in einem Brief vor einem  Jahr gestellt hatte:
„Es plagt mich die Frage, nach dem Warum und Wozu von so  vielen Sprachen und den Schwierigkeiten, die sie bei der Verständigung  unter den Völkern bereiten. Wie denken Sie darüber?“
    
Dazu stellte nun der Sprachwissenschaftler und Afrikanist  Jungraithmayr in Anbetracht hunderter von Sprachen die gleiche Frage an  den Religionswissenschaftler:
„Warum so viele Religionen. Statt Frieden haben auch sie wie  die unterschiedlichen Sprachen über die Zeiten hinweg nur Unfrieden und  Kriege über die Menschheit gebracht.“
    
Prof. Dr. Jungraithmayr schloss mit seinem Dank über die 50jährige freundschaftliche Verbundenheit.

Grußwort des Theologen Gerhard Marcel Martin
 
Prof.  Dr. Martin richtete als Vertreter der Emeriti sein Grußwort an den  Jubilar Hans-Jürgen Greschat, in dem er vorab eine Textprobe seines  Buches „Unterwegs zu fremden Religionen“ vorlas:
    
     Polynesien. Maori. Hongi.
      Wir, oft in Eile, schütteln Hände,
      klopfen Schultern, Küsschen rechts
      und Küsschen links.
      Sie, ruhig und ohne Hast, legen sanft
      Nase an Nase und atmen zusammen.
      Das löst innere Sperren. Ihr Treffen mag
      einen freudigen oder traurigen Anlass haben,
      gemeinsam atmend erleben sie, zusammen da zu sein.
    
Daran knüpfte Martin mit den Worten an: „Hier und heute eher  händeschüttelnd und weniger schulterklopfend wenn wir auch nicht  leibhaftig Nase an Nase legen, so atmen wir und erleben zusammen  festlich mit Dank und Rückblick und sogar mit einem Blick nach vorn.“
  
Martin bezog sich des Weiteren auf einen anderen Sechszeiler im  genannten Buch, in dem Greschat in einer Paraphrase des indischen  Satipatthāna von Achtsamkeit sprach, „als entspanntes, anhaltendes, weitwinkeliges Wachsein.“
Das könne man auch heute noch von ihm lernen und das gelte für  alle seine Teilnahmen an den Emeriti-Treffen und entspreche dem  Grundprogramm seines akademischen Ansatzes, dass auch im Zitat zum  Ausdruck komme: „In der persönlichen Begegnung von Religionsforschern und Glaubenden treffen zwei Experten aufeinander.“
So die selbstbewusste Bescheidenheit eines Forschers, der auch in  der mündlichen und darüber hinaus vorsprachlichen Religionswissenschaft  gearbeitet hat und zugunsten der Phänomene nicht „unsere Verwirrtheit  durch voreilige Deutungen beseitigen wollte.“
Seine Aktivitäten schienen bisweilen „ostpreußisch wortkarg  und verhalten, distanzhaltend engagiert, sach- und personenbezogen  treffend und in jedem Fall nicht Konflikte schürend, sondern lösend.“
Zum Abschluss wünschte Prof. Dr. Martin Herrn und Frau Greschat mit dem nigerianischen Gruß: „Kraft, mit der ich, mit der Sie vorankommen.“

Zum Abschluss des Jubiläums überreichte die Prodekanin Beinhauer-Köhler Frau Greschat einen Blumenstrauß.



















Zum vergrößern der Bilder bitte Bild   anklicken.

Veröffentlichungen von Hans-Jürgen Greschat,  Hermann Jungraithmayr,
   G. Marcel Martin und Otto Kaiser im Verlag Blaues Schloss:
Greschat, Hans-Jürgen
Unterwegs zu fremden Religionen
Kartoniert: 12 Farbseiten,
80 Buchseiten
ISBN 978-3-943556-42-1
Preis: 11,00 €   


Zum Buch:
   
Diese Texte verweisen auf Wege, die Hans-Jürgen Greschat in seinem Berufsleben als Religionshistoriker gegangen ist. Sie haben ihn unter anderem nach Sri Lanka geführt, nach Indien, Thailand, Myanmar, Hong Kong, Taiwan, Polynesien, Nigeria, Südafrika und South Dakota, USA.
   
Zu Anfang der Geschichte besaß wohl jede Horde ihre eigene Religion. Beim heutigen Stand der Entwicklung gibt es noch immer regional begrenzte Religionen, aber auch solche ohne Grenzen, die sog. Weltreligionen. überall anzutreffen ist die Unreligion, der Verlust oder die Negation von Religion. Der Atheismus entstand im Abendland, wo sich die Religion des Volkes Gottes, die des Sohnes und die des Propheten Gottes etabliert hatten, während in Indien schon lange die gottlose Religion des Buddha erblüht war. Kurz gesagt, im Laufe der Geschichte sind Religionen entstanden und wieder vergangen. Es hat Tausende von Religionen gegeben und es gibt sie noch heute. Sie konkurrieren mit einander als Lehrsysteme. Aber deren Anwendung schrumpft auf ein einziges System von Gut und Ungut zusammen, auf eine Ethik.
Uni im Café 13
Jungraithmayr, Herrmann
Die Dreidimensionalität
afrikanischer Sprachen
Kartoniert: 2 Farbseiten,
3 s/w Abbildungen,
54 Buchseiten
ISBN 978-3-943556-45-2
Preis: 8,70 €


Zum Buch:
   
Die Erkenntnis der Qualität einer afrikanischen Sprache hängt wesentlich davon ab, dass man ihre dreidimensionale Struktur wahrnimmt: Ein Wort aus Konsonant und Vokal wird erst durch den musikalischen, bedeutungstragenden Ton ein Ganzes. Der Laut- und Tonreichtum afrikanischer Sprachen sowie ihr hoher Präzisionsgrad sind Ausdruck einer ursprünglich engen Bindung und Verflochtenheit ihrer Sprecher mit Natur und Umwelt. Die formenreichen und hoch differenzierten Sprachen sind Seismographen äußerst sensibler und komplexer Gesellschaftsstrukturen.
Reihe Uni im Café Bd. 2
Martin, Gerhard Marcel
Apokalypse
Weltuntergang - innen und außen
Kartoniert, 48 Seiten
ISBN 978-3-943556-12-4
Preis: 7,95 €



Zum Buch:
   
Religionsgeschichtlich heißt „Apokalypse“ nicht Weltzerstörung, sondern   Enthüllung, Aufdeckung, Offenbarung destruktiver, aber auch rettender   Mächte. Doppeltes Thema ist Weltende genauso wie Weltverwandlung durch   ungeheure Vernichtungsprozesse hindurch. Apokalypse geschieht außen und   innen: in weltpolitischen Dimensionen und in Visionen von himmlischen   und höllischen Welten. Schon Kant unterscheidet ein natürliches, ein    katastrophisch widernatürliches und ein „übernatürliches“, „mystisches“  Ende aller Dinge. Sind apokalyptische Traditionen gegenwärtig aktuell –   in Politik, Tiefenpsychologie und Theologie? Wo geschieht „Apokalypse“   heute?
Uni im Café 9
Kaiser, Otto
Martin Heidegger und das einfache Sagen oder Denker und Dichter in dürftiger Zeit
Kartoniert 42 Seiten
2 Farb- u. 3 s/w. Abbild.
ISBN 978-3-943556-32-2
Preis 8,30 €

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