Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung-A. Schmitt-19-02-2017 - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2017



Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung?   
Eine Kritik aus aristotelischer Sicht.   
Professor Dr. Arbogast Schmitt   
So, 19. Februar, 2017 11 Uhr, Café Vetter


Arbogast Schmitt beginnt seine Kritik an der  Vernunft der  Aufklärung aus aristotelischer Sicht vorsichtshalber  damit, voranzustellen,  keinen Vortrag gegen die Aufklärung zu halten.
    
Die Kritik der Aufklärung an Aristoteles hingegen war  weniger  vorsichtig, wenn sie mit den Worten des französischen Aufklärers Fontenelle deklarierte: „Die Herrschaft der Worte und Begriffe ist  vorbei, man  will zu den Dingen selbst…  Die Autorität hat aufgehört, ein größeres Gewicht zu  haben als die  Vernunft.“ Die neue Philosophie stütze sich auf Mathematik und   Experimente und lehne jede Autorität ab, sofern sie nicht auf Vernunft  und  Erfahrung gegründet ist.
       
Diese radikale Abkehr von Aristoteles transportierte, wie   Arbogast Schmitt, erläuterte, unvermerkt mehr Metaphysik weiter, als den   Aufklärern bewusst war. Denn 'die Wende zum Ding' stattete die  sinnlich  gegebenen Einzeldinge mit eben den Eigenschaften aus, die im  'aristotelischen'  Mittelalter die von Gott kommenden Prinzipien des  'Seins' gewährleisten  sollten. Der einzelne Mensch, die einzelne Katze  sollte nun wahrhaft Mensch  (vere homo), wahrhaft Katze sein. Die  einzelnen Dinge galten nun als  'wohlbestimmt'.Das habe zu einem ganz  besonderen Vernunftbegriff  geführt: als Aufgabe des Denkens erschien es  nun, die sinnlichen Einzeldinge  möglichst genau im Denken wieder zu  rekonstruieren und sie so in einem klaren  und deutlichen Bewusstsein zu  repräsentieren.
       
Zu diesen Aufgabenstellungen hatte, wie schon  'Aristoteliker'  der Renaissance feststellten, Aristoteles selbst offenbar  nichts  gesagt. Er hatte daher, so schien es, noch keinen Begriff von den   eigenen Aktivitäten der Vernunft.
  
Ein genauerer Rückblick auf Aristoteles kann allerdings,  so  Schmitt, klarmachen, dass er diese Abhängigkeit des Denkens von den   Einzeldingen für unkritisch gehalten hätte. Wenn man etwas erkennen  will, dann  will man, das ist sein Prinzip, auch genau ein bestimmtes  einzelnes Etwas  erkennen. Aber ist der Mensch, so, wie man ihn vor sich  hat, tatsächlich genau  und nur Mensch? Aristoteles verdeutlicht das  Problem, mit dem man beim Erkennen  konfrontiert ist, an einem  einfacheren Beispiel: Ein Kreis, auf den man  hinzeigen kann, ist immer  ein Kreis aus Kreide, Sand, Holz, Erz. Er hat also  Eigenschaften des  Kreis-seins und (z.B.) des Holz-seins an sich. Wer meint, an dem seinen  Sinnen vorliegenden Kreis könne er sich einen Begriff von ihm bilden,  bildet fast zwingend einen konfusen Begriff, in dem Merkmale vom Holz  und vom Kreis undifferenziert miteinander vermischt sind.
       
Also ist die Aufgabe des Denkens nicht einfach die   Vergegenwärtigung des ganzen Gegenstands 'Kreis', sondern die  'analytische'  Ermittlung von dem, was tatsächlich nur zum Kreis-sein an  diesem Gegenstand  gehört. Für den Weg, wie man das ermittelt, hat  Aristoteles eine hoch komplexe  und differenzierte Methode ausgebildet.  Sein Vernunftbegriff stützt sich daher  nicht auf das Bewusstsein von  etwas, sondern ist eine Philosophie des  Unterscheidens. Wer die  Kriterien des Unterscheidens kennt und mit Wissen  anwendet, der verfügt  über eine aufgeklärte Vernunft.
       
Diese Unterscheidungskriterien wendet man schon bei den   einfachsten Wahrnehmungen an. Schmitt demonstrierte, dass man nicht  einmal ein  'a' hören kann, wenn man nicht Anfang, Dauer, Ende,  Gleichheit des Tons, seine  Kontinuität und vieles mehr unterscheidet,  auch wenn man dies nicht 'bewusst'  tut.So stehen sich also nach Schmitt  Denken als bewusste  Repräsentation sinnlich gegebener Dinge in der  Aufklärung und Denken als ein  aktives Unterscheiden bei Aristoteles  gegenüber. Das eine ist ein Nach-Denken über etwas, was man schon  irgendwie ‚empfangen‘ hat (durch die Sinne, Gefühl, Intuition), das  andere stellt dieses scheinbar Empfangene für uns erst her und macht es  dem Nachdenken zugänglich.
    
Einen besonderen Vorzug des aristotelischen  Vernunftbegriffs  sieht Schmitt darin, dass bei Aristoteles nicht Vernunft und   Sinnlichkeit, Verstand und Gefühl auseinanderfallen. Alle Akte des  Menschen  sind vom einfachsten Wahrnehmen an Unterscheidungsakte. Sie  sind von sich aus  mit Lust oder Unlust verbunden. Man kann die  Geruchsnuancen eines Weins mit der  Wahrnehmung unterscheiden und wird  eben dadurch Lust oder Unlust empfinden.  Sich diese Nuancen bewusst zu  machen, hat dagegen keine emotionale Wirkung. Es ist eben das  Hinterher-denken etwas Anderes als die direkte aktive Zuwendung zu etwas  Erkennbaren.

Buchhinweise
    
    
      Reihe Uni im Café 3
      Schmitt, Arbogast
      Homer und wir
      Kartoniert, 44 Seiten
      ISBN 978-3-943556-13-1
      Preis: 7,95 Euro

    
Homer konfrontiert die Leser einer aufgeklärten Gesellschaft mit  einem merkwürdig gemischten Befund: Man findet viel Vertrautes, daneben  aber Vieles, mit dem man sich in keiner Weise mehr identifizieren kann.  Eine genauere Beschäftigung mit ihm kann aber zeigen, dass ausgerechnet  das für uns Fremde auf guten Beobachtungen und einem psychologisch  erstaunlich differenzierten Verständnis des Menschen beruht.
In einer Welt, in der die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen  und Religionen zu einer hoch relevanten Aufgabe geworden ist, kann Homer  eine gute Einübung in diese Aufgabe bieten.

Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung?:
Eine Kritik aus aristotelischer Sicht   
(Studien zu Literatur und Erkenntnis)
Gebundene Ausgabe – 1. März 2016
von Arbogast Schmitt
  
  Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg
 Auflage: 1 (1. März 2016)
 978-3825364618
 472  Seiten
42,00 €
    

Buchbeschreibung (Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg):
    
In der Auseinandersetzung um das Verhältnis der westlichen  Moderne zu anderen Kulturen, Gesellschaften, Religionen spielt die  Berufung auf die Aufklärung eine wichtige, vielleicht die wichtigste  Rolle. Die Befreiung von der Bevormundung durch religiöse und  politisch-gesellschaftliche Autoritäten durch die Entdeckung der  Selbstständigkeit der jedem zur Verfügung stehenden eigenen Vernunft  gilt vielen als ein erreichtes kulturelles Niveau, das nicht mehr  unterschritten werden dürfe. Diese Unterscheidung zwischen einem Zustand  der Aufgeklärtheit und einem des Nicht-aufgeklärt-Seins brachte und  bringt allerdings viele Verständnisschwierigkeiten zwischen den so  getrennten Seiten mit sich.
    
Die Vernunft der Aufklärung kann aber auch nicht einfach als die  Vernunft überhaupt verstanden werden, die die westliche Moderne von  allen früheren Epochen und allem gegenwärtig Fremden unterscheidet. Auch  diese Vernunft hat ihre historischen Bedingungen und ihre Grenzen. Es  gab auch in anderen Zeiten und Regionen ein Nachdenken über die Vernunft  ‚selbst‘ und ihr Können.
    
Das Anliegen, dem sich dieses Buch stellt, ist, am Beispiel von  Aristoteles zu belegen, dass es sich lohnt, auch scheinbar ‚überwundene‘  Konzepte als Partner einer verbindlichen Diskussion zu betrachten.  Allein die (über 1500 Jahre) außergewöhnlich lange und außergewöhnlich  elastische Vermittlungs- und Verständnisleistung, die zwischen den  Kulturen (auch zwischen Orient und Okzident) durch Aristoteles möglich  geworden war, macht eine Auseinandersetzung, die nicht nur Vergangenes beschreibt, sondern es in seinem Anspruch  ernst nimmt, attraktiv – auch als Beitrag zur Lösung von Verständigungsproblemen, denen wir uns heute stellen müssen.

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