Werkgeheimnisse afrikanischer Sprachen - Kulturgut im ...-8-10-2017 - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2017



"Werkgeheimnisse afrikanischer Sprachen - Kulturgut im Verborgenen"

Prof. Dr. Herrmann Jungraithmayr und Dr. Marie Ngom

Uni im Café, So, 08. Oktober, 11 Uhr, Café Vetter



"Das Schönste Erlebnis ist die Begegnung mit dem Geheimnisvollen. Sie ist der Ursprung jeder wahren Kunst und Wissenschaft. Wer nie diese Erfahrung gemacht hat, wer keiner Begeisterung fähig ist und nicht starr vor Staunen stehen kann, der ist so gut wie tot.      Seine Augen sind geschlossen."            Albert Einstein

„Wir Linguisten“, so fuhr der Afrikanist Jungraithmayr fort, „müssen natürlich an die Augen auch die Ohren anschließen. Es müsste also außerdem heißen: ‚Seine Augen und Ohren sind geschlossen.‘ Viele Feinheiten in afrikanischen Sprachen können nur mit einem guten und geschulten Gehör ausgemacht werden und dazu mit einer ungewöhnlichen Liebe zur Sprache, zu allem Sprachlichen, dem feinsten und wertvollsten Organ menschlichen Lebens.

Dass wir hier und heute über afrikanische Sprachen und so manche ihrer verborgenen Seiten sprechen wollen und können, dafür unser Dank  an Herrn Legge, und an viele von Ihnen, die sie mich, - der vor zwei Jahren über die Dreidimensionalität der afrikanischen Sprachen sprechen durfte -, zu einem weiteren Vortrag ermutigt hatten. Dass wir heute noch einmal über afrikanische Sprachen sprechen, hat auch einen wichtigen sozialen Beweggrund. Es wird immer nötiger in unseren Tagen, dass wir uns mit den kulturellen Hintergründen befassen, die jeder afrikanische Flüchtling mit und in sich trägt. Dabei ist seine Muttersprache das wichtigste Kulturgut und der größte Reichtum, den er besitzt."


Photo: Karl-Hans Schumacher

Dann führte Jungraithmayr zum ersten Geheimnis hin, das er selbst erst nach dreißig Jahren mit der Beschäftigung der Sprache entdeckt hatte bzw. sich hatte entdecken lassen.

„Das Tangale“ , so begann er, „eine kleine Ethnie von ca. 150 000 Menschen im Nord-Osten  nigerias hat Gombie gesprochen. Seit 1962 - als ich ein halbes Jahr bei diesem kleinen Volk lebte - arbeitete ich an dieser Sprache. 1991 konnten wir ein Wörterbuch herausbringen, 2002 eine umfangreiche Sammlung von Erzählungen, Märchen und Tierfabeln.



Eines Tages stießen wir bei der Übersetzung der Texte auf den kurzen Satz: anamben daude. Ich übersetzte ihn mit: „Sie haben ihn beleidigt.“ Mein Mitarbeiter Njengo verbesserte mich aber und sagte: „Nein, das heißt nicht, Sie haben jemanden beleidigt, sondern Sie selbst wurden beleidigt.“ Seine Version passte tatsächlich besser in den Zusammenhang. Aber ich konnte mir nicht erklären, wie aus einer normalen aktiven Form eine passive Form werden sollte. Also ich wusste nicht, wo in der Aussprache der Unterschied sein solle. Bis ich beim mehrmaligen Hören verstand, dass im passiven Fall, also Sie wurden beleidigt, der Vokalauslauf einen ‚Klecks‘ hatte, das heißt, der Auslauf war nicht offen, sondern geschlossen. Wir nennen das Kehlverschlusslaut. Und da war der Groschen gefallen. Bei den entsprechenden Bedeutungen von Verben ist es also lebenswichtig, den richtigen Ton zu treffen.“

Frau Ngom gab ein Beispiel, bei dem in zwei Dialekten an zwei verschiedenen Orten, die bei uns zwei verschiedenen Sätze: „Kommen Sie zum Fest!“ und „Kommen Sie nicht zum Fest!“ entgegengesetzt ausgedrückt werden. Kommt jemand also aus dem Ort A zum Ort B, versteht er den Satz so, dass er nicht zum Fest kommen soll, während der Sprecher am Ort B eigentlich meint, dass er zum Fest kommen soll.

Der Afrikanist Jungraithmayr gab weitere Beispiele, so dass manche Dialekte acht und mehr verschiedene Zeitformen kennen.
“Woher kommen solche Unglaublichkeiten?“, regte der passionierte Afrikaforscher  das Publikum zum weiteren Zuhören an.


  
           
Ob der Vortrag in einem Uni im Café Band erscheint, wird in nächster Zeit abgeklärt werden können und bekanntgegeben.

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Jungraithmayr, Herrmann
Die Dreidimensionalität
afrikanischer Sprachen

Kartoniert: 2 Farbseiten,
3 s/w Abbildungen, 54 Buchseiten
ISBN 978-3-943556-45


Die Erkenntnis der Qualität einer afrikanischen Sprache hängt wesentlich davon ab, dass man ihre dreidimensionale Struktur wahrnimmt: Ein Wort aus Konsonant und Vokal wird erst durch den musikalischen, bedeutungstragenden Ton ein Ganzes. Der Laut- und Tonreichtum afrikanischer Sprachen sowie ihr hoher Präzisionsgrad sind Ausdruck einer ursprünglich engen Bindung und Verflochtenheit ihrer Sprecher mit Natur und Umwelt. Die formenreichen und hoch differenzierten Sprachen sind Seismographen äußerst sensibler und komplexer Gesellschaftsstrukturen.

Herrmann Jungraithmayr, geb. 1931 in Eferding/Oberösterreich, Studium der Afrikanistik, Ägyptologie und Ethnologie in Wien und Hamburg. 1972 bis 1996 Professor für afrikanische Sprachwissenschaften in Marburg und Frankfurt a.M.. Gastprofessuren in Washington D.C. und Maiduguri (Nigeria). 1990-1999 Erster Vorsitzender der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Ordentliches Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Universität Frankfurt. Ehrentitel der nigerianischen Volksgruppen Tangale und Mushere ,Mai YaDak und Mi Sam. Seit 1959 Erforschung zahlreicher hamito-semitischer (tschadischer) Sprachen Nigerias und der Republik Tschad. Afrikanische Sprachen werden als mündliche historische Quelle in einer Welt der Gedächtniskulturen sowie auch als ästhetische Zeugnisse afrikanischen Menschentums verstanden.

Publikationen:
     Die Ron-Sprachen, 1970; Lexique mokilko, 1990; A Dictionary of the Tangale Language, 1991; Sindi. Tangale Folktales, 2002; Der perfekte Ton, 2008; La langue mubi, 2013

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