Notre Dame Ulrich Schacht -07-05-2017 - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2017


Ulrich Schacht   
Notre Dame   
So, 7. Mai, 11 Uhr, Café Vetter

Egon Amman fasst „Notre Dame“ von Ulrich Schacht  architektonisch auf. „Nichts weniger als eine weit gefasste  Sprachkathedrale will mir dieser Roman sein … “. Wider die angeborene  Zweidimensionalität steckt in der Buchseitenfläche das gotische Streben,  als Kathedralraum emporzusteigen; wider die Erhebungslosigkeit  erträumen die körperlosen Lettern Volumen, Raum, und Dimensionen,  so dass im „Längsschiff sich die leidenschaftliche Liebesgeschichte“  ausgestaltet, während auf den „Seitenaltären und in deren  Andachtsnischen die quälenden Erfahrungen mit Diktatur und  Menschenverachtung“ wie heißes Wachs von den brennenden Passionskerzen  tropft und erstarrt. Aber vielleicht spielt „Notre Dame“ nicht nur auf  eine Kathedrale an, sondern auch auf „Unsere Frau“; vielleicht steigt  nicht nur die Wirkkraft einer Kathedrale auf, sondern die einer Frau,  wenn sie  zu „unsere Frau“ zu „Notre Dame“ wird und Lettern körperlich, Volumen sinnlich, Raum weitherzig und Dimensionen entgrenzt werden lässt. So umfasst „Notre Dame“ das ganze Spektrum der Liebe.
               
Besonders wenn der Geist eines Menschen jahrelang in die Enge einer Gefängniszelle zusammengescheucht war, lernt er Großräumigkeit  schätzen; wer nicht nur die Herzlosigkeit einer Strafanstalt, sondern  die eines ganzen Systems bis in seine Knochen erfahren hat und wer den  brechtschen Satz „So wie man sich bettet, so liegt man“, poetisch  modifiziert in „So wie man gebettet wird, so liegt man“, der schätzt  eine weiche Weitherzigkeit. Und wer Dimensionen als begrenzende Dimensionslosigkeit erfahren  hat, der schätzt den Originalgeschmack der Freiheit, der so schmeckt:
               
„Wirkliche Freiheit, er hatte es oft gedacht, jetzt  dachte er es wieder: Wirkliche Freiheit – war sie zuletzt nicht doch  undenklich mehr als bloßer Wille? Natur also, reine Natur?! Dem Menschen  geschenkt, nicht erfunden von ihm. Deswegen brach sie in der Geschichte  ja immer so überwältigend auf: elementar wie Erdbeben,  Vulkaneruptionen, Springfluten – wenn der Druck zu groß wurde, der  Terror hemmungslos, die Lüge zu dreist. Doch wenn das stimmte, wirklich  stimmte, würde der Mensch die Freiheit nie ganz vergessen können. Dann  steckte sie tief in ihm, unendlich tief, um jemals endgültig  herausgerissen werden zu können: in seinen Zellen, seiner Seele, seinem  ganzen Seien, und dem war es, wenn es darauf ankam nichts gewachsen.  Nichts! Der Beweis wurde gerade wieder einmal erbracht, niemand konnte  ihn übersehen, selbst die nicht, die keine Seele hatten oder nur eine  verkümmerte, die sie leugneten oder gar ausschalten wollten, um eine  gänzlich neue konstruieren zu können: eine Seele ohne Seele, eine  Maschine mit menschlichem Antlitz.“
               
Ulrich  Schacht liest nicht aus seinem Roman, sondern er erzählt ihn nahezu, so  vital springen die stummen Worte auf dem Papier nun aus seinem Mund.  Wie einem Erzähler. Das geschriebene Wort verwandelt sich wieder in  mündliche Lebendigkeit. Endlich ist es wieder das, war es einmal war, so  wird es aus der Kathedrale der Lungenflügel durch Zähne in die Welt  gestoßen. Der nächste Schritt wäre der erzählende Monolog eines  Schauspielers, der das Buch zuvor ganz in sich aufgenommen hat und dann  verwandelt ausstößt in Sprache, Rhythmus, Laut.     
            
Ja, das nächste Mal, wenn Ulrich Schacht das vierte Mal ins Café Vetter kommt, wird gar kein Buch mehr da sein, sondern nur Person, Erlebtes, Gestaltetes, Erzähltes, Schacht.     
Wer immer noch meint, schreiben habe etwas mit Lesen zu tun, der sollte dann seine Ohren spitzen.


Zum Buch (Verlagsangaben Aufbau Verlag)
       
Ulrich Schacht
Notre Dame
431 Seiten
Aufbau Verlag;  Auflage: 1 (17. Februar 2017)
978-3351035860
Preis: 22,00 €
    
    
Sein Leben lang hat Torben Berg den Fall der Mauer herbeigesehnt,  dafür gekämpft. Doch als es endlich soweit ist, wird er von einer  zerstörerischen Leidenschaft überwältigt. Ein großer Roman von  Faustscher Art, in dem sich die große Geschichte mit dem Liebesschicksal  eines einzelnen Mannes verwebt.
    
Paris, Ende 1991. Der deutsche Journalist Torben Berg  ist in die Französische Hauptstadt geflogen, um fern von seiner Familie  den Silvesterabend zu verbringen. Zwar weiß seien zwölfjährige Tochter  von der Reise, nicht aber seien Frau: Ihre Ehe ist gescheitert. Der Ort  ist nicht zufällig gewählt. Genau hier widerfuhr Berg anderthalb Jahre  zuvor das größte Liebesglück und das größte Liebesleid. Damals begleitet  ihn die junge Studentin Henrike Stein aus Leipzig, die Berg nach einem  Konzert Wolf Biermanns End 1989 kennengelernt hatte. Es begann eine  gewaltige erotische Liebe, die sich gleichwohl immer mehr verdunkelte  und deren Schatten bis nach Paris ins Jahr 1991 reichen. Hier muss Berg  einen neuen Horizont finden, der sich endlich wieder aufzuhellen  beginnt.
               
„Ulrich Schacht gelingt das Kunststück, die Turbulenzen  und  Kapriolen des Nachwendejahres 1990 in einer radikalen, zärtlichen  Liebesgeschichte  zu erzählen. Zugleich entsteht ein ‚Seelendokument’,  wie es Torben Berg, Held  dieser Geschichte, nennen würde – ehrlich und  unverstellt. Habt keine Angst vor  dem Glück (und kämpft darum), liebe  Leser, das ist es, was uns dieser Roman in  jeder seiner Zeilen zuruft.“  Lutz Seiler.

Ulrich Schacht wurde 1951 im Frauengefängnis  Hoheneck geboren und wuchs in Wismar auf. 1973 in der DDR wegen  „Staatsfeindlicher Hetze“ zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt,  wurde er 1976 in die Bundesrepublik entlassen. Dort arbeitete er als  Feuilletonredakteur und Chefreporter Kultur für Die Welt und Welt am  Sonntag. Schacht erhielt verschiedenen Preise, Auszeichnungen und  Literaturstipendien, u.a. den Theodor-Wolff-Preis für herausragenden  Journalismus und den Eichendorff-Preis. Seit 1989 lebt Ulrich Schacht  als freier Autor in Schweden. Zuletzt bei Aufbau: Vereister Sommer  (2011) und Grimsey (2015), wofür er den Preis der LiteraTour Nord  gewann.

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